Ich durfte schon viele schöne Ecken unseres Planeten besuchen, diesmal habe ich mich aufgemacht zu einem Ziel, das nicht dem klassischen Postkartenmotiv entspricht, mich aber so berührt hat, wie es auch der schönste, palmengesäumte Traumstrand kaum könnte.
Flip-Flops, Wanderschuhe, Winterjacke, Thermo Unterwäsche und Badesachen – ich habe alles eingepackt, um mich in eine entlegene Ecke der Welt zu wagen. Das Ziel ist nördlich des Polarkreises, aber vorerst starte ich in Kopenhagen. Mit einem Leihrad des Hotels mache ich mich auf, die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu besichtigen. Es ist Ende Juni, heute Nacht ist Midsommer und die ganze Stadt ist auf den Beinen. Die Sonne steht am wolkenlosen Himmel, die Strände sind gefüllt mit Familien und Freunden, die die längste Nacht des Jahres genießen möchten. Alle Plattformen am Kanal in der Stadt sind belegt mit Badenden, die vielen Restaurants und Bars sind ebenfalls mehr als gut besucht. Das tolle Wetter passt zur Stimmung und ich radele ganz selbstverständlich stundenlang und genieße die Atmosphäre.
Am Abend treffe ich mich mit meiner Reisegruppe, denn diese Tour mache ich gemeinsam mit gleichgesinnten Reiseexperten und Mitarbeitern der Reederei.
Wirklich früh am nächsten Morgen startet unserer Flug nach Nuuk im Südwesten Grönlands. Der Anflug ist schon aufregend, aber nichts im Vergleich zu dem, was uns erwartet.
Nach einer kurzen Rundfahrt in der, ehrlicherweise nicht umwerfend schönen, Hauptstadt fangen wir alle an zu begreifen, wie unterschiedlich die Lebensbedingungen hier in Grönland sind. In Nuuk sind die einzigen zwei Ampeln Grönlands, aber wenn es keine Straßen zwischen den Städten und Siedlungen gibt sind Schilder wie „Achtung Schlitten“ sinnvoller als Ampeln, um den kaum aufkommenden Verkehr zu regeln.
Am Nachmittag führt uns der Weg in den Hafen, wo wir unser Zuhause auf Zeit, unsere Kabinen an Bord des Expeditionsschiffes Fridtjof Nansen beziehen.
Wir sind aufgeregt, und je später es wird tauchen langsam erste Eisberge auf. Müdigkeit kommt in dem wunderschönen Licht selbst nachts um 1 Uhr kaum auf. Wir zwingen uns alle zur kurzen Nachtruhe, denn am nächsten Tag erwartet uns die Eisberghauptstadt Ilulissat. Die strahlende Sonne empfängt uns dort und beleuchtet für uns die Zauberwelt aus Eis besonders schön. Spektakulär, bizarr und unfassbar. Viele Superlative könnte ich hier aufzählen, alle nur gerecht für das, was Grönland uns hier präsentiert. Wir erlangen eine Ahnung ob der unbegreiflichen Weite des Eises, als wir den Wanderweg Richtung Eisfjord begehen.
In Uummannaq, unserem nächsten Halt, hat der Nikolaus angeblich sein Sommerhaus. Knappe 8 km wandern wir in einer Gruppe mit den Guides des HX Teams dorthin. Die „Wege“ sind spannend und wirklich teilweise herausfordernd. Als wir das Ziel endlich erreicht haben stellt sich eine gewisse Ernüchterung ein. Das Sommerhaus ist wirklich innen nicht schön, kein Wunder, dass er nicht da war! Aber sein Garten ist ein absoluter Traum und den Weg mehr als wert! In der Stadt unterhalb des herzförmigen Berges statte ich dem „kleinen“ Briefkasten des Nikolaus natürlich auch noch einen Besuch ab, bevor es weiter in den Norden geht.
Die nächsten Tage ist uns das Wetter mal sehr hold, wie beim Kajak fahren am Fuß der Marmormine Black Angel, mal ist es eher nicht so freundlich – aber wir sind hier in teils lebensfeindlichen Regionen und die Reederei ist verpflichtet bei Naturphänomenen wie Nebel Anlandungen auszusetzen, da unter anderem die Sicherheit nicht gewährleistet werden kann. Niemand, auch nicht unsere stets bewaffneten Guides, hat Lust bei einer Sicht von wenigen Metern plötzlich einen imposanten Eisbären oder einen schlecht gelaunten Moschusochsen zu treffen.
Schlechtes Wetter gibt es in Grönland nicht, sondern wie überall auf der Welt nur unpassende Kleidung. Ausfahrten im Zodiak werden auch bei Nebel und moderatem Regen gemacht und bieten wieder einen ganz anderen Blickwinkel auf die mystischen Eisberge und die schroffe Landschaft. Wem das zu kühl oder nass ist kann den spannenden Vorträgen an Bord lauschen, sogar auf der Kabine im TV bei live Übertragungen, hält gemeinsam mit dem Forschungsteam Ausschau nach Tieren oder genießt die Aussicht bei einem Getränk in der Lounge am Panoramafenster. Mein Ausflug mit dem Forschungsboot ist ein weiteres Highlight. Wir erheben Messdaten und nehmen Wasserproben, die wir später gemeinsam auswerten und erklärt bekommen. Im Anschluss werden alle gesammelten Proben der Reise sogar zur weiteren Verwendung eingeschickt. Ich bin begeistert von den Möglichkeiten und der Idee dahinter, auch internationale Zusammenarbeit hier zu erleben, zu fördern und sogar daran teilhaben zu können. Bisher wirklich eine Reise für alle Sinne!
Auch für alle Sinne sind die Restaurants an Bord. Besonders lecker war der grönländische Abend im a la Carte Restaurant und das üppige Schalentier Büfett im Hauptrestaurant.
Qeqertarsuag und Sisimiut sind schon die letzten Städte auf unserer Reise, wobei Stadt relativ ist. Das Leben nördlich des Polarkreises ist für uns sehr surreal. Im Supermarkt kauft man Überlebensartikel, zur Konfirmation gibt es oft eine Waffe und selbst Kindergartenkinder nehmen selbstständig und selbstverständlich Fische aus. Etwas älter lernen Sie, wie man Robben findet und fängt und mit seinem Hundeschlitten auch im Schneesturm überlebt. Die einzigartigen grönländischen Schlittenhunde gibt es nur nördlich des Polarkreises, sie sind dem Wolf näher als dem Hund und absolut keine Haustiere. Streicheln ist streng verboten, denn es kann sehr gefährlich werden. Der Umgang mit den Arbeitstieren wirkt befremdlich, bis man sich informiert und es besser versteht. Auch die Esskultur ist uns sehr fremd. Fette, Fleisch und Fisch satt, nur wenig bis kein Obst und Gemüse. Mehrere Wochen bis Monate ist es nur hell – oder nur dunkel. Es gibt auf Grönländisch keine Schimpfwörter und die Kriminalität ist sehr gering. Es klingt ein bisschen nach heiler Welt. Wie fragil diese heile Welt ist, zeigt sich uns sehr ungeschönt.
Unseren Abschied vom Eis nehmen wir im Evighed Fjord, der ewige Fjord, auch er ist von Klimawandel betroffen. Änderungen zeigen sich in der Vegetation und Tierwelt, durch ansteigende Wassertemperaturen und nicht nur dadurch weitere Veränderungen im maritimen Leben, Lebensbedingungen der Einwohner verändern sich und mit ihnen die Lebensgewohnheiten.
Die Eismassen wirken hier so unüberschaubar groß, doch sie schwinden. Auch in diesen Momenten, in denen wir die Sonne und die milden Temperaturen in Grönland genießen. Umso wichtiger, und auch glaubwürdiger, erscheint die Idee von HX Expeditionen, Forschern aus aller Welt Kabinen zur Verfügung zu stellen, was auch ganz still eine Symbiose bei Passagieren zwischen Neugier, Entdeckergeist und Wissenschaft entwickelt. Was man kennengelernt hat schützt man, und auch ich hinterfrage auf meiner Reise das ein oder andere, das von anderen Punkten der Welt verursacht, und hier in Grönland so fragil präsent wirkt.
Demütig und glückselig zugleich genieße ich die letzten Eisberge auf der Rückreise, beleuchtet von der nicht untergehenden Mitternachtssonne. Es ist eine zauberhafte und wundervolle Welt, die ich hier entdecken durfte. Erfahren ist hier im Fokus statt Konsum. Bildung und Forschung, ein Gespür für unsere vielfältige Natur und deren unabdingbare Verknüpfung in allen Bereichen hat mich begeistert.
Meine Zeit in der mit Abstand schönsten Kunstausstellung der Natur, die ich bisher gesehen habe, ist vorbei. Grönland zählt sicher zu den eindrucksvollsten Reisen meines Lebens – gerne berate ich Sie, wenn Sie darüber nachdenken, diese einmalige Reise selbst erleben zu wollen.